In Europa
ertrinken jährlich bis zu 40.000 Menschen. 100 Menschen kommen jeden Tag im Wasser ums Leben. Dabei könnten achtzig Prozent aller
Ertrinkungsunfälle verhindert
werden. Aber welche Veränderungen wären dafür notwendig? Blausand.de nennt Ihnen die zehn Hauptgründe
für das Ertrinken und schlägt bessere Lösungen vor.
Nach
Einschätzung von Experten auf dem Amsterdamer "Weltkongress gegen das
Ertrinken" (world congress on drowning) im Juni 2002 könnten achtzig
Prozent aller Ertrinkungsunfälle durch präventive Massnahmen verhindert
werden.
In den letzten fünf Jahren hat sich die Situation nicht verbessert.
Angesichts in einigen Ländern sogar ansteigender Ertrinkungszahlen ist dringender Handlungsbedarf geboten. Ratlosigkeit, Unkenntnis und
Sparmaßnahmen einerseits und steigende Ertrinkungszahlen andererseits
bestimmen die Entwicklung und stehen in einem eklatanten Missverhältnis.
Jährlich reisen 100 Millionen EU-Bürger in andere EU-Länder. Innerhalb
von 5 Jahren halten sich zwei Drittel der Europäer in einem anderen
europäischen Land auf, darunter viele ahnungslose Urlauber, die wenig Chancen haben, sich über Badesicherheit und Ertrinkungsgefahren zu informieren.
Die Situation in vielen Ländern Europas ist in
Hinblick auf Bewachungs- und Warnsysteme, Präsenz von
Rettungsschwimmern, Informationen über Wassergefahren sowie Ausbildung
und Rettungsmanagement als kritisch anzusehen. Vor allem in unbewachten
Binnengewässern, in Gartenteichen, Swimmingpools und Gewässern in
Wohnungsnähe ist die Zahl der Ertrinkungsopfer in Ländern der
Europäischen Union angestiegen, vor allem bei hohen Temperaturen und bei
den Gruppen der Kleinkinder und älterer Menschen.
1. Risikoverdrängung, fehlende Informationen, Leichtsinn, keine Zahlen
In bestimmten Lebenssituationen wie Freizeit und Urlaub werden bekannte
Risiken nach dem Muster "Es betrifft immer die Anderen" allzuoft
ausgeblendet. Hinzu kommt, dass in einem Pauschalurlaub die Wochen der
Erholung durch eine Art Versorgungsmentalität, durch "mitgebuchte
Sicherheit" bestimmt werden, während Individualurlauber sich nicht durch
Restriktionen wie Warnflaggen und Badeverbote in ihrer Urlaubsruhe
"stören" lassen wollen. Speziellen Risiken sind Kinder (Unterbrechung
der permanenten Beobachtung durch Eltern, auch in flachen Gewässen) und
ältere Menschen (wegen fehlender Schwimmfähigkeiten und körperlicher
Vorschädigungen) ausgesetzt. Ein Grund für das Ertrinken ist auch das
fehlende Bewusstsein im Umgang mit dem eigenen Körper, Alkoholkonsum bei
Kindern und Jugendlichen und die fehlende Kondition bei diesen Gruppen,
hervorgerufen durch Fast Food und Fettleibigkeit. Hinzu kommt, dass
Informationen zu Wassergefahren und über das richtige Verhalten in
Schwimm- und Notsituationen von den beteiligten Organisationen
(Kommunen, Dienstleister an Badestellen, Reiseveranstalter) oft nicht
oder nur unzureichend vermittelt werden. Seriöse Zahlen zur Zahl der
Ertrinkungsopfer in europäischen Ländern werden nur selten veröffentlicht.
2. Unbewachte und ungesicherte Gewässer, Risikoanalysen
Viele Wasserstellen, in denen ein erhöhtes Ertrinkungsrisiko
"mitschwimmt" und die deshalb entweder wirksam gesperrt oder zumindest
bewacht sein müssten, werden von den Verantwortlichen vernachlässigt.
Mit lebensgefährlichen Folgen. Die Gründe: Mangel an Geldmitteln,
manchmal Verantwortungslosigkeit und gelegentlich auch Ignoranz. Es ist
klar, dass nicht alle Wasserstellen in Europa bewacht sein können. Wenn
aber die gut besuchten, gefährlichen und unfallreichen Gewässer in
einer Risikoanalyse ermittelt und bewacht werden
würden, gingen Ertrinkungszahlen deutlich nach unten.
3. "Blaue Flagge" nur noch für bewachte Strände
Über 2000 Badestellen in Europa wurden inzwischen mit der "Blauen
Flagge" ausgezeichnet. Die Vergabekriterien hinsichtlich
Strandsicherheit sind aber nicht ausreichend.
Auch nicht bewachte
Strände können bisher mit der Blauen Flagge ausgezeichnet werden. Die
"Blauen Flaggen" sind bisher eher ein Marketinginstrument und hängen
nicht immer an Stränden, die weitestgehend sicher sind. Unsere
Forderung: Strände dürfen nur dann mit der Blauen Flagge ausgezeichnet
werden, wenn diese auch Bewachung garantieren.
4. Rip-Strömungen
Warnungen zur Gefahr von Rip-Strömungen gibt es an europäischen
Badestränden nur selten. Deshalb muss auch bezweifelt werden, ob die
Gefahr von Rip-Strömungen immer in die Kriterien für Warnhinweise und
für das Hissen von Warnflaggen eingeht und Ausbildungsbestandteil des
Rettungspersonals ist. Rip-Strömungen sind aber die Hauptursachen für
die meisten Rettungseinsätze und wohl auch der tödlichen im offenen Meer! Deshalb fordert
Blausand.de eine konsequente Ausstattung mit klar verständlichen
Hinweisen auf die Gefahr von Rip-Strömungen für alle Badestellen in
Europa, die strömungsintensiv und stark frequentiert sind und an denen
es Ertrinkungsunfälle gegeben hat, die durch Rip-Strömungen verursacht
wurden.
5. Zu wenig ehrenamtliche Retter
Die Bereitschaft, sich als Wasserretter ausbilden und für den
Rettungsdienst einsetzen zu lassen, lässt von Jahr zu Jahr spürbar nach,
weil es attraktivere Freizeitbeschäftigungen und Betätigungsbereiche
gibt und weil schulischer und beruflicher Druck kein Engagement mehr
zulassen. Die Folge: Selbst wenn finanzielle Mittel für die Bewachung
bereitgestellt würde, könnten Wasserretter das ausgebildete Personal
oftmals nicht stellen. Die Attraktivität der Aufgabe als
Rettungsschwimmer sollte in der Öffentlichkeit durch verstärkte
Maßnahmen in Kooperationen mit Medien, Unternehmen und Organisationen
bewusster gemacht werden. Die täglichen Bewachungszeiten an Badestellen
müssen bedarfsorientiert sein und die personelle Präsenz über die
Ferienwochen hinaus verstärkt werden. Auch die finanziellen Bedingungen
für die freiwilligen Rettungsschwimmer müssen in einigen Ländern der
Europäischen Union verbessert werden Bei vielen Rettungsorganisationen
Europas gibt es bisher keine Konzepte für die zukünftige Rekrutierung
von Wasserrettern. Eine Thematisierung und eine Diskussion zum Thema
bezahlte Wasserretter ist dringend notwendig.
6. Ertrinkungsunfälle zu selten thematisiert
Ertrinkungsunfälle im Freizeitbereich werden von Medien und
Öffentlichkeit in Europa immer weniger beachtet.
Das hängt damit
zusammen, dass bei einem tödlichem Ertrinkungsunfall oft "nur" ein
Mensch ums Leben kommt.
Grund ist auch die zunehmende Gleichgültigkeit
von Menschen, besonders dann, wenn es sie nicht betrifft und wenig
spektakulär ist. Das wiederum hat zur Folge, dass ein Bewusstsein für
Risiken im Wasser immer seltener erzeugt wird.
7. Verwirrende Flaggen
Signale müssen, wenn sie etwas bewirken sollen, eindeutig und auf den
ersten Blick leicht verständlich sein.
Diese Kriterien treffen auf die
neuen Warn- und Verbotssignale nicht zu. Sie sind einfach zu schwer zu
verstehen. Wenn sie denn überhaupt vorhanden sind. Blausand.de hat Tests
mit Urlaubern durchgeführt. Nur wenige Badegäste konnten die Bedeutung
der Flaggen korrekt wiedergeben. Eine gelbe Flagge steht für "Baden und
Schwimmen gefährlich". Eine rote Flagge für "Baden und Schwimmen
verboten". Eine grüne Flagge gibt es an deutschen Badestellen nicht
mehr.
Soweit macht alles Sinn. Die Irritation beginnt, wenn
Strandbewachung signalisiert wird. Dann, wenn es also durch die
Bewachung sicherer wird, hat man sich ausgerechnet für eine gelb/rote Flagge entschieden. Also ausgerechnet für eine Farbkombination, die für
Gefahr und Verbot (etwa wie bei den "gelernten" Ampelfarben) steht. Die
gelb/rote Beflaggung wird auch für die Begrenzung der Badezonen
verwendet. Nun ist die Verwirrung komplett und die Flaggen tragen zur
Verunsicherung bei. Blausand.de fordert deshalb dringend die
Überarbeitung der bisherigen Vorschläge zu den Flaggenfarben und Badezonen.
8. Zu späte Rettung, Defibrillator
Durch fehlende Bewachung von Wasserstellen werden kritische Situationen,
die zu lebensbedrohlichen Badeunfällen führen, zu spät erkannt. Bis zum
Auffinden des Verunglückten und bis zur Ersten Hilfe durch Laien oder
Profis vergeht oft zu viel Zeit. Anstatt nach Erkennen des Notfalls die
Rettungskette durch sofortige Alarmierung zu aktivieren, wird von
Strandbesuchern oft erst mal das Wasser abgesucht und der Ernst der
Gefährdung nicht erkannt. Ertrinken ist ein extrem zeitkritischer
Prozess. Für das Überleben der Verunglückten sind die ersten Minuten von
entscheidender Bedeutung. Bei einem Herzstillstand ist ein
Defibrillator, der auch an bewachten Badeseen nur selten zur Verfügung
steht, oft die einzige Möglichkeit, Leben zu retten. Wenn der
Notarztwagen mit Defibrillator (AED) eintrifft, ist es allzuoft schon zu
spät.
9. Schwimmfähigkeiten und Ausbildung, Unfallanalysen
Der Zusammenhang zwischen Schwimmfähigkeiten und Ertrinkungsrisiken ist
mit Sicherheit vorhanden. Ob die Zahl der Ertrinkungsopfer in Europa
signifikant fallen würde, wenn mehr Menschen schwimmen könnten, ist
bisher wegen fehlender Unfallanalysen bisher nicht eindeutig
nachgewiesen worden. Sicher ist es keine Frage, dass das
Ertrinkungsrisiko minimiert wird, wenn ein Mensch, der schwimmen kann,
ins Wasser fällt. Insofern begünstigen Eltern auch die Gefahr, wenn sie
nicht dafür sorgen, ihre Kinder zum Schwimmunterricht zu bringen. Gute
Schwimmer fühlen sich im Wasser auch sicherer und geraten nicht so
schnell in Paniksituationen. Andererseits: Schwimmer setzen sich
Gefahren eher aus als Nichtschwimmer und können dadurch erst in riskante
Situationen geraten. Schwimmer sind wahrscheinlich auch leichtsinniger
als Nichtschwimmer und überschätzen ihre Fähigkeiten öfter. Fazit: Ohne
Unfallanalysen sind seriöse Aussagen über das erhöhte
Nichtschwimmerrisiko nicht möglich. Auch die Frage, inwieweit Menschen
durch das Fehlen von Lehrschwimmbecken in ihrer Schwimmausbildung
gehindert werden und deshalb eher ertrinken, ist bisher nicht
hinreichend unter Beweis gestellt worden.
10. Fehlende "elektronische Beobachter"
Seit Jahren gibt es technisch ausgereifte Anlagen mit Unterwasserkameras
für Schwimmbäder, die Alarm mit Lokalisierung auslösen, wenn ein Körper
bewegungslos im Wasser treibt. Diese lebensrettende Technik wird trotz
millionenschwerer Investitionen für die Freizeiteinrichtungen bisher nur
in wenigen Fällen getestet und eingesetzt. Auch dann nicht, wenn in einem Schwimmbad
bereits tödliche Unfälle passiert sind. Sicherheitstechnisch ist jeder
neue PKW heute besser ausgerüstet als ein öffentliches Schwimmbad ohne
elektronische Beobachtung. Ein Anachronismus und trotz Badeaufsicht in
vielen Schwimmbädern Europas die Ursache für etliche Ertrinkungsopfer in
den letzten Jahren.
Die Meldung in englischer Sprache lesen Sie hier. Please klick here for the article in Englisch.
Link zum Thema: 100 EACH DAY: 100 blaue Menschen gegen das Ertrinken in Europa |